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Der Beckenboden während der Schwangerschaft und nach der Geburt

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Für viele Frauen ist die Schwangerschaft die Zeit, in der sie das erste Mal bewusst an ihre Beckenbodenmuskulatur denken. Es ist allgemein bekannt, dass eine Schwangerschaft belastend für den Beckenboden ist und vor allem eine vaginale Entbindung ein Risiko darstellt. In diesem Artikel möchte ich erklären, wie die Beckenbodenmuskulatur sich verändert, typische Probleme, die Folgen von Geburtsverletzungen und Behandlungsstrategien aufzeigen.

Detaillierte Erklärungen zur Anatomie, Funktion und Dysfunktion gibt es im Artikel über den Beckenboden. Noch einmal kurz zusammengefasst:

  • Die Beckenbodenmuskulatur liegt im unteren Teil des Beckens zwischen Schambein und Steißbein mit 3 Öffnungen bei der Frau (2 beim Mann).
  • Diese Muskeln stützen die Organe, vor allem die Beckenorgane (Blase, Gebärmutter und Enddarm), gegen die Schwerkraft und den intraabdominalen Druck, der beim Husten, Niesen, Springen, Heben, Lachen etc. erhöht wird. Das heißt, sie spannen, wenn sie normal funktionieren, automatisch an, wenn der Druck erhöht wird.
  • Sie schließen die Öffnungen, um den unwillkürlichen Verlust von Harn, Wind und Stuhl zu verhindern, können aber lockerlassen zur Entleerung von Blase und Darm.
  • Haltefunktion mit der tiefen Bauch- und Rückenmuskulatur.
  • Wichtig für eine normale sexuelle Funktion.

Veränderungen in der Schwangerschaft

Beckenboden Physiotherapie

Während einer Schwangerschaft vergrößert sich die Gebärmutter und passt sich so dem wachsenden Baby an. Am Ende der Schwangerschaft erreicht die Gebärmutter eine Größe von 38 cm Länge (normal 5-8 cm), 24-26 cm Breite (normal 3,5 cm) und wiegt mit Baby, Fruchtwasser und Plazenta ca. 6 – 7 kg. Die äußere Schicht der Gebärmutter ist ein glatter Muskel (wie zum Beispiel auch die Blase), der sich während der Schwangerschaft dehnt, sich bei der Geburt zusammenzieht und dabei das Baby „herausschiebt“, sich danach dann wieder verkleinert und zurückbildet. Die Mutterbänder, die die Gebärmutter in ihrer Position halten, dehnen sich aus und das kann vor allem im mittleren Schwangerschaftsdrittel zu ziehenden oder stechenden Schmerzen führen.

Die Beckenbodenmuskulatur wird vor allem in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft stark belastet und durch die Schwangerschaftshormone werden alle Gewebe weicher, um auf die Geburt vorbereitet zu sein. Ein starker Beckenboden ist hier sehr von Vorteil! Die Bauchmuskulatur wird natürlich auch gedehnt, um dem wachsenden Baby Platz zu machen.

Was bewirkt ein starker Beckenboden?

Ein aktueller Cochranreview zeigt, dass strukturiertes Beckenbodentraining am Anfang einer Schwangerschaft bei kontinenten Frauen hilft, das Auftretens von Urininkontinenz am Ende der Schwangerschaft und 3 – 6 Monate nach der Geburt zu vermeiden.[1]

Es gibt auch Hinweise, dass Beckenbodentraining sich positiv auf die sexuelle Funktion in und nach der Schwangerschaft auswirkt.[2] Viele Frauen haben Bedenken, den Beckenboden zu kräftigen, weil sie denken, dass dann die Geburt schwieriger wird. Regelmäßige Bewegung und Beckenbodenkräftigung scheinen sich aber positiv auf die Geburt auszuwirken und es kommt seltener zu einem Kaiserschnitt oder Gebrauch von Hilfsmitteln (wie Geburtszange). Bewegung und Sport hilft dem Herz-Kreislauf-System, dem allgemeinen Wohlbefinden, reduziert Schwangerschaftsdiabetes, übermäßige Gewichtszunahme und normalisiert die Größe der Babys.[3] Inkontinenz ist häufig ein Hindernis für Frauen, Sport zu treiben.

Die Geburt

Während einer vaginalen Geburt werden die Beckenbodenmuskeln auf über das Dreifache der normalen Länge gedehnt![4] Selbst bei sehr beweglichen Frauen schafft das kein anderer Muskel. Trotz dieser gewaltigen Dehnung kommt es bei 70 – 85 % zu keinem Riss der Muskeln, denn der Körper bereitet sich auf die Geburt vor. Während der Schwangerschaft werden die Muskelfasern des Beckenbodens um 21-37 % verlängert und Schwangerschaftshormone machen das Gewebe lockerer.[5]

Nach einer vaginalen Geburt sind die Beckenbodenmuskeln erst einmal überdehnt und geschwächt, ebenso die Mutterbänder. Das heißt, dass die Unterstützung für die Beckenorgane und der Verschlussmechanismus der Blase und manchmal des Darms geschwächt sind. Urininkontinenz kommt je nach Studie bei ca. 40 % aller Erstgebärenden vor.[6] Auch anale Inkontinenz kann nach Geburten auftreten und wird stark in Zusammenhang gebracht mit Dammrissen 3. und 4. Grades. Die Nerven des Beckens werden ebenfalls überdehnt und manchmal kann das dazu führen, dass der Nerv (meist vorübergehend) nicht mehr richtig funktioniert.

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Blick von oben auf die tiefe Schickt des Beckenbodens.

Die tiefe Schicht des Beckenbodens (Levator Ani) bildet vorne eine Öffnung (Levatorhiatus), durch die Vagina und Harnröhre treten. Dieser Bereich wird bei einer Geburt stark überdehnt und bei 10-30 % kommt es auch zu einem Muskelriss (Levator Abriss oder Avulsion), was den Levatorhiatus vergrößert. Die Größe des Levatorhiatus ist besonders relevant für die Unterstützung von Blase und Gebärmutter: Je größer die Öffnung, umso schlechter die Unterstützung und das Risiko für Beckenorgansenkung steigt erheblich.[7]

Nach einem Kaiserschnitt haben Frauen zwar genauso überdehnte Bänder, aber da die Beckenbodenmuskulatur nicht überdehnt wird und keine Verletzungen erleidet, sind Unterstützung und Kraft meist besser.[8]  

Die Beckenboden Rehabilitation

Bei Sportverletzungen ist es völlig normal, dass man nach einer Heilungsphase, die je nach Schweregrad der Verletzung kürzer oder länger ist, ein langsam steigerndes Programm durchführt. So sollte es auch nach einer Geburt sein! Ganz egal, wie unkompliziert alles verlief, sollte man es langsam angehen. Die Kräftigung der Beckenboden- und (tiefen) Bauchmuskulatur spielt eine wichtige Rolle in der Zeit nach einer Geburt. Ein individuelles, gezieltes Kräftigungsprogramm für Beckenboden- und Bauchmuskulatur ist sinnvoll, um Probleme wie Urininkontinenz, Stuhl-/ Windinkontinenz, Senkung und Rückenschmerzen vorzubeugen oder diese zu behandeln.[9] Mütter müssen stark sein und schweres Heben lässt sich kaum vermeiden. Beim Heben (wie beim Husten, Niesen, Hüpfen etc.) erhöht sich der intraabdomineller Druck und kann zu Belastungsinkontinenz und Senkungsbeschwerden führen, deshalb ist es wichtig, starke Muskeln zu haben. Eine auf Beckengesundheit spezialisierte Physiotherapeutin* kann eine vaginale Untersuchung durchführen, um die Kraft, Entspannungsfähigkeit, Ausdauer, Koordination und Funktionalität der Beckenbodenmuskulatur zu beurteilen. Die Atmung ist auch ein wichtiger Teil der beurteilt wird, denn Beckenboden und intraabdomineller Druck werden stark von ihr beeinflusst. Außerdem können die Position der Beckenorgane, Risikofaktoren (wie die Größe des Levatorhiatus), Status der Bauchmuskulatur und einiges mehr untersucht werden. Dann kann sehr gezielt ein Übungsprogramm zusammengestellt und individuelle Ratschläge gegeben werden. Wenn es notwendig ist, können auch Feedback- oder Elektrostimulationsgeräte zum Einsatz kommen. In anderen Ländern, wie zum Beispiel Frankreich, können alle Frauen nach einer Entbindung zu einer spezialisierten Physiotherapeutin* für einen Beckenbodencheck und erhalten, je nachdem was nötig ist, gezieltes Training und Betreuung. Das ist natürlich ideal und kann Inkontinenz und Senkungen vorbeugen.

Beckenbodenkräftigung ist auf jeden Fall die Erstlinientherapie bei Urininkontinenz und hilft, Symptome und Schweregrad von Senkungen zu verbessern (Evidenzlevel: 1, das ist die höchste Empfehlung, die in wissenschaftlichen Studien ausgesprochen wird).[10] Kräftige Beckenbodenmuskeln sind durch das ganze Leben wichtig, aber da alle Muskeln im Alter abbauen, ist es ab den Wechseljahren besonders relevant und das ist auch die Zeit, in der häufig Probleme auftreten. Es ist nie zu spät, um mit einem Training anzufangen. Aber die Zeit nach einer Geburt ist wohl die beste Zeit dafür. An dieser Stelle möchte ich auch noch hinzufügen, dass allgemeine Kräftigung (z. B. Pilates, Joggen, Fitnessstudio, alle möglichen Sportarten etc.) immer auch den Beckenboden, der ja ein Teil des Systems ist, stärkt. Die isolierte Beckenbodenkräftigung ist meist nur am Anfang sinnvoll, dann sollte das Training funktionell und ein Teil eines Work-outs werden.

Beckenboden Physiotherapie

[1] Woodley SJ, Lawrenson P, Boyle R, Cody JD, Mørkved S, Kernohan A, Hay-Smith EJC. Pelvic floor muscle training for preventing and treating urinary and faecal incontinence in antenatal and postnatal women. Cochrane Database of Systematic Reviews 2020, Issue 5. Art. No.: CD007471. DOI: 10.1002/14651858.CD007471.pub4.

[2] The Effect of Pelvic Floor Muscle Exercise on Female Sexual Function During Pregnancy and Postpartum: A Systematic Review, Sobhgol, Sahar Sadat et al., Sexual Medicine Reviews, Volume 7, Issue 1, 13 – 28

[3] Exercise in pregnancy! Berghella, Vincenzo et al., American Journal of Obstetrics & Gynecology, Volume 216, Issue 4, 335 – 337

[4] Lien KC, Mooney B, DeLancey JO, Ashton-Miller JA. Levator ani muscle stretch induced by simulated vaginal birth. Obstet Gynecol 2004;103:31-40.

[5] Alperin M, Lawley DM, Esparza MC, Lieber RL. Pregnancy induced adaptations in the intrinsic structure of rat pelvic floor muscles. Am J Obstet Gynecol 2015;213:191.e1-7.

[6] Åhlund, S., Rothstein, E., Rådestad, I. et al. Urinary incontinence after uncomplicated spontaneous vaginal birth in primiparous women during the first year after birth. Int Urogynecol J 31, 1409–1416 (2020). https://doi.org/10.1007/s00192-019-03975-0

[7] Handa VL, Roem J, Blomquist JL, et al. Pelvic organ prolapse as a function of levator ani avulsion, hiatus size, and strength. Am J Obstet Gynecol 2019;221:41.e1-7.

[8] de Araujo, C.C., Coelho, S.A., Stahlschmidt, P. et al. Does vaginal delivery cause more damage to the pelvic floor than cesarean section as determined by 3D ultrasound evaluation? A systematic review. Int Urogynecol J 29,639–645 (2018). https://doi.org/10.1007/s00192-018-3609-3

[9] Mørkved, S. and Bø, K. (2000), Effect of postpartum pelvic floor muscle training in prevention and treatment of urinary incontinence: a one‐year follow up. BJOG: An International Journal of Obstetrics & Gynaecology, 107: 1022-1028. doi:10.1111/j.1471-0528.2000.tb10407.x

[10] Dumoulin, C., Hunter, K.F., Moore, K., Bradley, C.S., Burgio, K.L., Hagen, S., Imamura, M., Thakar, R., Williams, K. and Chambers, T. (2016), Conservative management for female urinary incontinence and pelvic organ prolapse review 2013: Summary of the 5th International Consultation on Incontinence. Neurourol. Urodynam., 35: 15-20. doi:10.1002/nau.22677

*Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwende ich hier die weibliche Form.

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