Die Beckenbodenmuskulatur ist eine Gruppe von Muskeln, die kuppelförmig am unteren Ende des Beckens liegt. Da man diese Muskeln nicht sieht und sie still und leise ihre Arbeit machen, denken wir kaum einmal daran, dass sie da sind. Eigentlich hat der Beckenboden mehr Aufmerksamkeit verdient, denn diese Muskeln schaffen Unglaubliches. Spätestens bei einer Schwangerschaft und Geburt lernt eine Frau ihren Beckenboden kennen. Männer werden meist deutlich später auf ihn aufmerksam, oft erst nach einer Prostata OP, wenn Probleme auftreten. Dank Pilates und anderen Programmen hat der Beckenboden allerdings an Bekanntheit gewonnen, denn regelmäßiges Training bringt sehr viele Vorteile.
Die Anatomie und Funktion
Frauen haben ein breiteres Becken und drei Öffnungen für Harnröhre, Scheide und Anus. Das männliche Becken ist dagegen hoch und schmal und es gibt zwei Öffnungen für Harnröhre und Anus.
Es gibt unterschiedliche Ansichten bezüglich der Bezeichnungen und Einteilung. Die Beckenbodenmuskulatur besteht aus unterschiedlichen Schichten:
- Schwellkörper- und Schließmuskelschicht (oberflächlich): Musculus bulbospongiosus, Musculus ischiocavernosus und Musculus sphincter ani externus (äußerer Schließmuskel).
- Diaphragma urogenitale (oberflächlich): Musculus transversus perinei hat 2 Anteile und der tiefe Teil bildet auch den äußeren Harnröhrenschließmuskel.
- Diaphragma pelvis (tief): Levator ani und Musculus coccygeus. Levator ani bildet u-förmig den Durchtritt für Harnröhre, Vagina und Enddarm. Er besteht aus dem Musculus puborectalis, Musculus pubococcygeus und Musculus iliococcygeus.[1]
Puborectalis wird teilweise auch als mittlere Schicht gesehen.2
Funktionell ist es allerdings sinnvoll, einfach in tiefe und oberflächliche Beckenbodenmuskulatur zu unterteilen.
Diese Muskeln sind willkürlich steuerbar, können trainiert und bewusst entspannt werden. Meist arbeiten diese Muskeln aber automatisch mit, spannen an und lassen locker, je nachdem was wir machen. Anders sieht es aus mit den inneren Schließmuskeln um Anus und Harnröhre, welche nicht bewusst angesteuert werden können und normalerweise autonom funktionieren.
Wenn die Beckenbodenmuskeln anspannen, schließen sie sich um die Öffnungen und heben sich an.
Unser Beckenboden hat viele wichtige Funktionen:
- Erhält die Kontinenz, was bedeutet, dass die Muskulatur aktiver wird, wenn die Blase voll ist oder bei Stuhldrang.
- Entspannt sich beim Entleeren von Blase und Darm, um ein vollständiges Entleeren zu gewährleisten.
- Unterstützt die Beckenorgane (Blase, Gebärmutter und Enddarm) und spannt bei erhöhtem intraabdominellen Druck (z.B. beim Husten, schweren Heben etc.) mehr an.[2]
- Wichtig für sexuelle Funktionen wie zum Beispiel Erektion, Orgasmus und bei Männern auch Ejakulation.[3] [4]
- Mit der tiefen Bauch-, Rückenmuskulatur und dem Zwerchfell erhält der Beckenboden die Rumpfstabilität. Außerdem arbeiten Beckenboden und Zwerchfell (Atemmuskel) eng zusammen.[5] Bei der Einatmung spannt das Zwerchfell an und bewegt sich nach unten, während sich der Beckenboden mehr entspannt und nach unten nachgibt. Andersherum bei der Ausatmung.
Probleme mit der Beckenbodenmuskulatur
Diese kleine, unsichtbare Muskelgruppe hat also viele und sehr wichtige Aufgaben. Sie muss stark sein, damit wir all die Aktivitäten machen können, die wir wollen, ohne Symptome zu bekommen. Sie muss aber auch vollständig entspannen können.
Sind die Muskeln zu schwach kann es zu Inkontinenz und Senkungsbeschwerden kommen. Können sie nicht richtig locker lassen kann dies zu Entleerungsstörungen oder Schmerzen führen.
Ursachen für Schwäche sind:
- Schwangerschaft, hormonelle Veränderung und höhere Belastung.
- Geburtsverletzungen, das können Schäden an Muskel, Nerven und Bindegewebe sein. [6]
- Operationen im Unterbauch und Becken.
- Pressen beim Stuhlgang bei chronischer Verstopfung.
- Übergewicht. [7]
Ursachen für Überaktivität: [8]
- Erkrankungen wie Endometriose mit chronischen Schmerzen führen zu überaktiven, verkrampften Beckenbodenmuskeln.
- Wiederkehrende Blasenentzündungen
- Ständiges Anspannen und übermäßig viel Sport ohne Ausgleich.
- Geburtsverletzungen und Narben im Dammbereich.
- Stress und Angstzustände.
Behandlung von Beckenbodendysfunktion
Es ist sehr vereinfacht, wenn man sagt, es geht entweder darum den Beckenboden zu stärken oder zu entspannen. Nicht selten kommt es vor, dass Frauen z.B. nach Entbindungen zwar schwache Beckenbodenmuskeln haben, diese aber trotzdem überaktiv sind und man erst einmal an der Entspannung arbeiten muss. Eine Untersuchung durch eine/n auf Beckengesundheit spezialisierte/r Physiotherapeut/in ist empfehlenswert um gezielt zu behandeln. Die Behandlungspläne sind individuell, da jeder eine andere Ausgangskraft/ -kondition hat und beinhalten auch Alltagstipps (z.B. bezüglich Verstopfung, Blasengewohnheiten oder Toilettensitzposition) um das Ergebnis zu optimieren.
Anspannen und Trainieren des Beckenbodens
Aufrecht sitzend auf einem Stuhl konzentriert man sich auf die Beckenbodenbodenmuskeln die zwischen den Sitzbeinhöckern (die 2 Knochen links und rechts auf denen man sitzt), Schambein vorne und Steißbein hinten liegt. Die Finger an den Unterbauch legen, das hilft die Spannung der tiefen Bauchmuskulatur zu spüren, da diese mit dem Beckenboden anspannen.
- Sanft die Muskeln um Scheide und Anus zusammenziehen/ schließen und anheben (Damm hebt sich leicht vom Stuhl weg). Wie beim Anhalten des Urinstrahls (es kann auf der Toilette ausprobiert werden, aber bitte nicht regelmäßig beim Urinieren stoppen!) oder halten von Wind.
- Bei Frauen hat sich in Studien gezeigt, dass das Anspannen um den Anus die Anspannung des gesamten Beckenbodens verstärkt. Es gibt eine Vielzahl von bildlichen Darstellungen (z.B. Aufzug), die helfen können die Beckenbodenmuskulatur besser anzuspannen.
- Männer können die Anspannung besser isolieren, wenn sie sich vorstellen den Penis „einzuziehen“ oder die Hoden anzuheben (beides kann man auch im Spiegel beobachten).
- Die tiefen Bauchmuskeln aktiv mit anzuspannen hilft den Beckenboden zu unterstützt, indem die Schamhaargrenze sanft eingezogen wird (wie beim Anziehen einer engen Jeans).
- Nicht die Luft anhalten! In den Bauch atmet man allerdings weniger.
- Beine, Po und Bauch (außer die tiefen Bauchmuskeln) bleiben entspannt.
- Je nach Kraft 1-3 Atemzüge (das Ziel ist oft 10 Sekunden) halten und 8-12-mal wiederholen, 3mal täglich. Das Übungsregime variiert je nachdem was man erreichen will. Idealerweise baut man die Übungen in ein Training oder den Alltag mit ein, um das Einhalten leichter zu machen. Am Anfang muss man sich allerdings erst auf die richtige Ausführung konzentrieren.
- Regelmäßiges Üben ist wichtig und für gute Erfolge muss man mindestens 6-8 Wochen dranbleiben. Es ist wie mit anderen Muskeln, die man trainiert.
- Die gleichen Prinzipien der allgemeine Trainingslehre gelten auch hier. Um einen Muskelzuwachs zu erreichen, muss eine ausreichend starke Reizintensität erreicht werden, d.h. maximal (für Kraft) oder submaximal (für Ausdauer) anstrengen.[9]
- Das Üben schneller Anspannung / Entspannung wird zur Verbesserung der Koordination verwendet. Das ist wichtig für das Anspannen bevor der intraabdominelle Druck ansteigt, z.B. beim Husten, Niesen, Heben etc. Das nennt man „Kniff“ (Trick) oder „Unterstützen“. Das ist besonders wichtig bei Belastungsinkontinenz und Senkungsbeschwerden.
- Nach jeder Muskelanspannung muss man wieder vollständig entspannen und dem Muskel genug Ruhe gönnen, damit er sich erholen kann.
- Studien zeigen, dass überwachtes Beckenbodentraining (betreut durch Beckenbodenspezialisten) effektiver ist.
- Zusätzlich können z.B. elektrische Muskelstimulation, vaginale Gewichte oder andere Hilfsmittel zum Einsatz kommen, um das Training zu unterstützen.
Über die Beckenbodenmuskulatur ist noch viel zu erzählen! Ein starker Beckenboden, der sich auch komplett entspannen kann, ist für viele alltägliche (und nicht-alltägliche) Aufgaben wichtig. Ein/e auf Beckengesundheit spezialisierte/r Physiotherapeut/in kann den Beckenboden untersuchen und ein individuelles Programm erstellen. Es gibt viele wissenschaftliche Studien, die die Wirksamkeit der Beckenbodentherapie belegen.
1 Schmeiser, G., Putz, R. Anatomie und Funktion des Beckenbodens. Radiologe 40, 429–436 (2000). https://doi.org/10.1007/s001170050692
[2] Raizada V, Mittal RK. Pelvic floor anatomy and applied physiology. Gastroenterol Clin North Am. 2008;37(3):493-vii. doi: 101016/j.gtc. 2008.06.003
[3] SACOMORI, Cinara; VIRTUOSO, Janeisa Franck; KRUGER, Ana Paula and CARDOSO, Fernando Luiz. Pelvic floor muscle strength and sexual function in women. Fisioter. mov. [online]. 2015, vol.28, n.4 [cited 2020-07-10], pp.657-665. Available from: <http://www.scielo.br/scielo.php?script=sci_arttext&pid=S0103-51502015000400657&lng=en&nrm=iso>. ISSN 1980-5918
[4] Cohen D, Gonzalez J, Goldstein I, The Role of Pelvic Floor Muscles in Male Sexual Dysfunction and Pelvic Pain (SexMedRev2016:4;53e62)
[5] Hodges PW, Sapsford R, Pengel LH. Postural and respiratory functions of the pelvic floor muscles. Neurourol Urodyn. 2007;26(3):362-371. doi:10.1002/nau.20232
[6] Baessler K., Schüssler B. (2008) The Effects of Pregnancy and Childbirth on the Pelvic Floor. In: Baessler K., Burgio K.L., Norton P.A., Schüssler B., Moore K.H., Stanton S.L. (eds) Pelvic Floor Re-education. Springer, London
[7] Pomian A, Lisik W, Kosieradzki M, Barcz E. Obesity and Pelvic Floor Disorders: A Review of the Literature. Med Sci Monit. 2016; 22: 1880-1886. Published 2016 Jun 3. doi:10.12659/msm.896331
[8] Faubion SS, Shuster LT, Bharucha AE. Recognition and management of nonrelaxing pelvic floor dysfunction. Mayo Clin Proc. 2012;87(2):187-193. doi:10.1016/j.mayocp.2011.09.004
[9] Dumoulin, C., Glazener, C. and Jenkinson, D. (2011), Determining the optimal pelvic floor muscle training regimen for women with stress urinary incontinence. Neurourol. Urodyn., 30: 746-753. doi:10.1002/nau.21104
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